Patriarchat- (?)Matriarchat(?) bei den klugen Hethitern

Könnte man(n) – mit dem Abstand von dezenten 3.500 Jahren (!) – die Herrschaft der Väter vs. die Herrschaft der Mütter als „Ringen der Eltern“ interpretieren?

Vielleicht.. aber das wäre historisch zu früh, v. a. am Gegenbeispiel der Hethiter, wie ich meine. Wirklich berechtigt ist ohnehin keine Vorherrschaft hiervon – ich hoffe, darüber sind wir uns einig 🙂 .

Ich finde es hingegen ein versöhnliches Bild, mir den Ursprung beider Ideen in einer(!) Geschichte vorzustellen. Und im Moment bin ich diesbezüglich verführt.

Die Sage um Inanna,..

bzw. ihre Bedeutung, das hierüber transportierte Bewusstsein, zieht sich von den Sumerern über Assyrer & Babylonier bis hin zu den Ursprüngen von Euphrat & Tigris, hoch auf das Gebirgsplateau Kleinasiens, hinein in das Großreich der Hethiter, nördlich aller Ursprünge der Zivilisation  – letztlich über Jahrhunderte, sogar beständig über Jahrtausende hinweg – ähnlich langlebig wie uns heute noch deutsche & griechische Heldensagen „ein Begriff“ sind.

Der Grundgedanke von Inannas Geschichte lässt sich nahezu überall in diesen alten Hochkulturen wiederentdecken – v. a.  der Mythos ihrer Hochzeit & Vereinigung zur feierlich sinnbildlichen Übergabe ihrer weiblichen Schöpfungskraft & Macht auf ihren menschlich-männlichen Gemahl (einst der Hirtenkönig Dumuzi) – symbolisch im Irdischen gefeiert in Form der Heiligen Hochzeit der Hohepriesterin auf Erden(!) und sichtbare „Früchte“ tragend infolge des zyklisch wiederkehrenden Erwachens der fruchtbaren Natur  in Form des ursprünglichen Frühlingsfestes.Dumuzi

Dass das irdische Pendant, aus dessen Köpfen diese Ur-Geschichte der Götter ja einst entsprungen sein muss, diesen „Fluss der Macht“ später vielerorts unbedingt als zu 100% vollzogen deutete und damit die Macht allein nur noch bei den Männern sah, kann man(n) den Hethitern indes so nicht unterstellen!

Denn NEBEN(!) den patriachalischen Strukturen, die scheinbar fast überall aus der konstruktiven Antwort der Männer auf die Gegenwärtigkeit von echter Gefahr und die Notwendigkeiten ihrer eigenen Zivilisation erwuchsen, gedieh noch immer auch die Kultur der Tawannana im Hethiterreich, das weibliche Priestergeschlecht mit königlicher Befugnis & eigener Vererbungslinie – ganz ähnlich der Hohepriesterin der Sumerer als irdische Vertreterin der Inanna, später auch Ishtar genannt.

Dabei ist Inanna in ihrer typischen Darstellung lediglich eine potentielle Mutter, eher eine jugendlich ungestüme „Ausgabe“ facettenreicher Weiblichkeit.. und gleicht kaum mehr den ausnahmslos gebärfreudig & extrem üppigen Gottgestalten des steinzeitlichen Mutterkults nebst angenommenem Matriarchat für die damalige Vorzeit, als die Menschen gerade mal sesshaft wurden.

640px-Felsrelief_von_FiraktinWie aber letztlich schon angerissen, setzten die Tawannanas im anatolischen Kerngebiet der Hethiter diese religiös motivierte Tradition fort, waren die Tawannanas damit nahezu unangreifbar, von edlem, fast heiligen Blut und jedem König ebenbürtig.

In diesem Bewusstsein..

gehörte es bei den Hethitern wie selbstverständlich dazu, dass neben dem König auch immer seine Königin mitregierte und selbstständig neben ihm über ihre eigenen Gefolgsleute etc. sowie über ihren eigenen Handlungsrahmen verfügte.

Burney_Relief_sides. a. der vorherige Artikel zur Rolle der Frau seinerzeit

 

Die Hethiter sind auch das seltene Beispiel dafür, dass solch Tawannana ihre königliche Stellung bis an ihr Lebensende behielt – auch über den Tod ihres Gemahls hinaus und dass dieser Status mit ihrem Tod sich weiter auf ihre Söhne oder auf ihre Töchter übertrug.

Bei allem Mut & aller Schlagkraft, die man(n) den Hethitern nachsagte, ist das aber bei Weitem nicht die einzige Besonderheit dieser Großmacht, die sich ab ca. 1700 v. Chr. sowohl mesopotamischen Kräften gegenüber als auch hinsichtlich des ägyptischen Einflusses durchaus erfolgreich über mehrere Hundert Jahre behaupten  konnte.AlterOrient2

Der Boden, auf dem dieses Bewusstsein wuchs, war auch damals schon ein karger. Das rauhe anatolische Bergland zu beherrschen und darin gesicherten Wohlstand aufzubauen, war eine besondere Herausforderung.

Früh, angesichts allein schon der Unwegbarkeit des zerklüfteten Geländes, muss den Hethitern klar gewesen sein, dass solch ein Reich unmöglich nur zentral zu regieren war und dass es eines besonders durchdachten Aufwandes bedurfte, mitten im Land stetig für Wasser & Nahrung als unerlässliche Grundlage v. a. städtisch geballten Lebens zu sorgen.

Eine gewisse Demut oder auch Bescheidenheit muss bereits in die Planung der Stadtanlagen eingeflossen sein, auch wenn man diese der überragenden Hauptstadt & Festung Hattuscha, beispielsweise, in keiner Weise nach Fertigstellung mehr ansehen konnte.

Kleinasien war kein Ort für Übermut & Größenwahn.

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Was hier Bestand haben sollte, musste alle Ressourcen nutzen, überlegt & solide wachsen! So waren die Städte mit ausgeklügelten Wasserspeicher-Systemen durchzogen und wurden in Hattuscha riesige Getreidespeicher angelegt, welche die Versorgung der Bevölkerung für ein ganzes Jahr absicherten.

„Alle Ressourcen nutzen..“ bezog sich offensichtlich aber nicht nur auf die unterschiedlichsten Wissenstände dieser Zeit sondern auch und v. a. auf die menschlichen Strukturen – in mehrfacher Hinsicht.

So organisierte sich das Reich über einzelne Vasallenstaaten, die innerhalb ihres Gebietes scheinbar weitgehend autonom agieren konnten. Um dennoch allerorts im Sinne des Königspaares zu handeln, also einig, stark & planvoll, auch nach außen hin, aufzutreten, bedurfte es der Abstimmung & des ständigen Austausches.

Diese enorme Koordinationsaufgabe zu bewältigen, hierfür gaben sich die Hethiter, als erstes Volk der Geschichte, eine Verfassung, sorgten gleichfalls aber auch für einen regen Austausch der notwendigen Informationen mittels eines weitreichenden & bestens organisierten Botensystems.

360px-Hattusa_Bronze_Tablet_CuneiformEbenso zeugen Quellen der fortentwickelten Keilschrift der Hethiter von einem wesentlich humaneren Justizwesen mit dem häufigen Kerngedanken von Schadensersatz & aktiver Wiedergutmachung statt Strafe nebst weitestgehender Verdrängung der Todesstrafe, bis auf wenige, allein dem König selbst vorbehaltenen Ausnahmen ( ganz im Gegensatz noch zum babylonischen Codex des Hammurabi aus dem 18.Jht. v. Chr. oder auch dem alten Testament, die beide vornehmlich nach dem abschreckenden Prinzip von „Auge um Auge..“ verfuhren).

In gleichem, klugen Sinne gingen die Hethiter sodann auch mit den 360px-HittiteGoddessAndChildAnatolia15th-13thCenturyBCEReligionen der von Ihnen eroberten Gebiete & Volksgruppen um, gliederten die fremden Götter schlicht in die Riege der eigenen ein, sorgten so auch hier für Identifikation & Integration – weshalb man(n) bei den Hethitern heute auch vom Volk der tausend Götter spricht.

Das alles zeugt von einem..

fortgeschritten diplomatischen Geist,

.. der nicht nur die Gewalt als Machtinstrument kannte, sondern frühzeitig reflektiv auf die Möglichkeiten & Folgen von Entscheidungen auf unterschiedlichsten Ebenen (re-?)agieren  konnte & dadurch wahrhaft einfallsreich & flexibel zu handeln vermochte.

Dabei blieb der König das oberste Organ aller Staatlichkeit & allen Glaubens, war Hohepriester ebenso wie oberster Richter und entscheidender Feldherr & Diplomat in einer Person. Über die Abstimmungsgremien seiner Vasallen aber, deren Posten nicht zufällig meist sogar mit Verwandten von ihm besetzt waren, war seine Entscheidungsebene eine breitere, sicher oftmals auch realitätsnahere, weil besser informiertere – das ist das Eine.

Letztlich aber war dieser König auch eingebunden in die Strukturen seiner eigenen Verfassung, wurden seine Entscheidungen ergänzt & mitgetragen durch die aktive Beteiligung seiner traditionell fast gleichgestellten Königin. Zudem dokumentieren Schrifttafeln, wie er sich als höchster Priester auch explizit dem Geist der Götter zu stetem Dank & Rechnenschaft verpflichtet gefühlt haben muss und das erst recht im Rahmen eines Landes, dessen Bedingungen für die Glorie möglicher „Egoflüge“ ohnehin wenig Raum ließen. Das war das Andere.

Alles zusammen, scheint359px-Kadesh die Basis  für das außergewöhnlich hohe Maß an Vernunft & solider Gedankenführung der Hethiter gewesen zu sein, was sie wohl, trotz ihrer kriegerisch berüchtigten Vergangenheit, auch auf die Idee des ersten Friedensvertrages  der Weltgeschichte mit dem ebenbürtigen Gegner, den Ägyptern, hat kommen lassen.

Und auch dieser Frieden wurde gemeinsam königlich besiegelt (=doppelt), sowohl von König Hattuschili III. als auch von seiner Frau, der Tawannana Puduhepa, so wie all seine Dekrete ihr in Kopie zugegangen sein sollen. Um das Bündnis noch weiter zu festigen, bot man Ramses II. von Ägypten zusätzlich noch eine königliche Tochter der Hethiter zur Vermählung an und regelte zudem weitsichtig auch die wechselseitige, ausdrücklich sanktionsfreie Auslieferung von Flüchtlingen & Kriegsgefangenen in jenem Friedensvertrag – ein weiteres Novum dieser Zeit im Sinne von Humanität.

Autorität „geht“ also auch anders!

Das scheinen die Hethiter (politisch) begriffen zu haben, so wie sie lange Zeit auch ganz konkret von den wohl durchdachten Inhalten ihrer kulturellen Autorität – als ganzheitliches System – selbst profitiert haben und ihre Erfolge als auch ihren Stolz hieraus zogen – sehrwohl zu Recht, wie ich meine.

Wie der Alltag der Bevölkerung hingegen ablief, darüber habe ich wenig gefunden. Aber all die ausgeklügelten, meist vernunftgetragenen, teils sogar humanen & in weiten Passagen von Respekt zeugenden Regelungen der Hethiter und das Vorbild des eng mit ihren Göttern & dem Volksglauben verbundenen Königspaares..

All das lässt annehmen, dass auch der einfache Mann & die einfache Frau kein auf Dominanz ausgelegtes Verhältnis zu einander pflegten, sondern eher ( im Sinne ihrer Führung) die „Idee einer großen Familie“ mit möglicherweise weitgehend selbstbestimmt agierenden Einzelwesen   jeder auf seiner Position & nach seinen besonderen Fähigkeiten – gelebt haben.


Sie bemerken meine Begeisterung?

Ja stimmt! Es gäbe da noch so viel mehr über jene Hethiter zu berichten, so viel extrem Fortschrittliches für diese Zeit – ganz entgegen dem sonstigen „Mainstream“ anderer Herrschaftsformen des Schreckens damaliger Zeit und entgegen den heutigen „Geflogenheiten“ dieser Gegend, weshalb ich in der nicht leicht zu findenden Lektüre hierzu die letzten Tage auch fast versunken bin.

Ich hoffe aber, das Wichtigste erwähnt und in einen nachvollziehbaren Zusammenhang gestellt zu haben – passend zum hiesigen Thema: Die Entwicklung des Rollenverständisses der Geschlechter.

Nächsten Mittwoch werde ich zudem hier im EXTRO wahrscheinlich aussetzen und erst am nächsten Wochenende weiterschreiben, da ich Geburtstagswoche habe..

Vorher gibt’s aber noch eine Fortsetzung am jetzt kommenden Wochenende im INTRO zur Auswirkung der Hormone auf Mann & Frau – hier konkret auf angehende Frauen.


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