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Verluste verkraften & mehr

Dieses Bild ist wie er – tosende See und dahinter.. das tiefgründige Meer.   (Fortsetzung des Artikels „Trauer, Schmerz & Erinnerung“)

Ich glaube, diese Szenerie würde ihm gefallen, so wie ich ihn kennengelernt habe. Der Mann war ein Ereignis mit einer Tiefe, von der ich viel gelernt habe.

Trauer wäre nicht das, was er wollte..

– mit Sicherheit nicht! Und so werde ich diese Woche seine Freunde treffen und wir werden feiern, dass es ihn gab. Wir alle vermissen ihn – jeder Einzelne trägt sein Geschenk lebendig in sich und keines dieser Geschenke gleicht dem anderen.

Wenn Sigmund Freud vor rund 100 Jahren noch von „Trauerarbeit“ sprach, meinte er, wir müssten LOSLASSEN – ganz & gar, um den Verlust zu verwinden.

Heute wissen wir, dass es nicht wenige gibt, die das, was ihnen der Verstorbene bedeutet hat, für sich & in sich bewahren – nicht ständig präsent, auch nicht dominant, aber doch hier & da, wie eine zusätzliche Inspiration. Man  fühlt sich erinnert, glaubt zu wissen, was derjenige jetzt denken oder sagen würde, was in seinem Sinne wäre und man empfindet es als Bereicherung des persönlichen Selbst – ohne Leid!

Die Forschung hat nachgewiesen, dass diese gewandelte, wahrlich integrierte Form des Bewahrens vielen Menschen auch langfristig gut tut – ein weiterer Bereich, in dem ein Sigmund Freud in seiner Zeit etwas über’s Ziel hinausgeschossen zu sein scheint.

Was ich hingegen für den Prozess des Trauerns, des sich Trennens, des Abschiednehmens und jeder anderen seelischen Erschütterung gerade jetzt bestätigen kann, ist..

footprints-389224Trauer, Abschied nehmen, verläuft in Wellen..

und NICHT  in chronologischen Phasen, wie Kast & Spiegel es meinten, sondern normalerweise in einem steten Auf & Ab nahezu der kompletten Palette aller Emotionen – von.. bis..

Nicht umsonst tragen Emotionen schließlich die Motion = die Bewegung schon mit sich im Wort. Wir brauchen sie, um etwas zu bewegen – in uns & im Außen – und erstrecht in Krisenzeiten!

Trauer ist unberechenbar, kommt & geht, ohne dass wir nachvollziehen können, wodurch genau sie wieder aufflammt. Zwischen diesen Wellen, die alles über- und unterspülen können, liegen tröstliche Erinnerungen, auch ein Schmunzeln, ein Lachen, zunächst in Gedenken an ihn,  aber auch das reale Leben, das einfach weiterläuft, sich in den Wellenverlauf mischt.

Erst mit der Zeit verlieren die Wellen allmählich ihre Macht, verkürzen sich, ebben aus und lassen wieder mehr Raum, um uns wieder ankommen zu lassen – im eigenen Leben.

Verluste bewältigen

https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3APsychologistGeorgeBonanno.jpgVor allem Psychologie-Professor George Bonanno von der Columbia-University hat sich die letzten 15 Jahre mit den Bewältigungsmustern der verschiedensten Arten von Verlust auseinandergesetzt. Anhand der Ergebnisse seines Teams hält Bonanno den Menschen an sich mehrheitlich für zäh & wesentlich resistenter als viele seiner therapierenden Kollegen es tun.

Nach Bonannos stichhaltigen Untersuchungen – egal ob Tod, niederschmetternde Krankheit, böseste Unfallfolgen, Katastrophen oder Existenzverlust per Job oder Scheidung, egal ob in Amerika, Asien oder Europa – konnte er ganz allgemein weit über erstaunliche 60% aller Betroffenen als resilient im Umgang mit heftigsten Verlusten belegen.

Als resilient (= seelisch widerstandsfähig) galten alle, die nach relativ kurzer bzw. angemessener Frist aus der eigenen Kraft heraus, inklusive der Kräfte ihres näheren Umfeldes, ohne größere Depressionen, Ängste o. ä. die Krise überwunden und ihr Leben wieder halbwegs im Griff hatten.

Resilienz – ganz im Sinne meines Freundes..

Denn er war einer von jenen – weiß der Himmel, woher er die Kraft nahm. Aus chaotischen Familienverhältnissen jahrelang in finsterste Kinderheime abgeschoben, hat er in Folge bestimmt nicht alles richtig gemacht, aber er hat sich auch nie unterkriegen lassen.

rotterdam-101684Seine Wege waren sicherlich nicht die üblichen, nie die angepassten. Seine Lebensformen waren bunt, provokant bis waghalsig, Vernunft nicht unbedingt seine Domäne.

Aber egal, was kam, er stand immer wieder auf – aus eigener Kraft und aus der Kraft seines ganz speziellen Umfeldes heraus, das er mit Geschick um sich zu scharen wusste. Gelehrt hat ihn das niemand. Eher war er genau darin in seinem Element.

Ich habe ihn erst kennen- und schätzengelernt, als er bereits wiederholt „dem Tod von der Schippe gesprungen“ und als, über seine mehrfachen Nahtoderfahrungen, auch eine nachdenkliche Komponente, neben der impulsiven in ihm gewachsen war. Ein Kämpfer, ein Steher aber, war er bis zum Schluss.

Wenn ich hier auch nicht mehr von ihm preisgeben möchte.. Er würde unterstreichen, was ein George Bonanno all jenen an die Hand gibt, die diese Resilienz bis dato nicht so ohne Weiteres in sich finden konnten. Denn Resilienz wird nicht vererbt!

Resilienz ist erlernbar!

Klar möchte wahrscheinlich jeder zu den Resilienten gehören. Aber gerade dieser alte Hardliner hat in seinen letzten heftigen Jahren entdeckt: Es muss auch „die Anderen“ geben, die auf ganz anderer Ebene ihre Qualitäten entwickeln. Eine Welt voller potentieller Helden würde zerbersten und die Welt ist auch nicht jederorts & jederzeit im Ausnahmezustand.

( s.a. meinen Artikel: Stehvermögen & Gelassenheit)

Es muss auch sonst weitergehen – Schritt um Schritt. Dafür sei er vielleicht der Falsche. Aber wir brauchen auch die Zwischentöne – nicht nur Schwarz & Weiß. Ebenso wie keine stabile Gemeinschaft nur aus Einzelkämpfern bestehen kann.

Es braucht auch den „Kitt“,

der alles zusammenhält.. die Tänzer, wie sein Bruder einer war und die Stillen, die Duldsamen & Beständigen – halt die, die nicht so hitzköpfig & ungeduldig wie er durchs Leben steuern. Denn das war die Kehrseite seines Temperamentes und seiner unbeirrbaren Stärke. Ja, auch die Kontinuierlichen & Feinsinnigen bräuchte es, so wie es die Freundschaft braucht, die vieles versteht & ermöglicht und die Liebe, die auch verzeiht. Ohne dem wär das Leben nicht lebenswert.

Ob er das für sich, in sich noch finden könne, um endlich auch irgendwo anzukommen, wie er es sich wünschte, war einer seiner größten & letzten Fragen an sich selbst.


Lieber Leser,

ich werde diese Woche keinen weiteren Artikel im INTRO am Freitag schreiben! Ich möchte Abschied nehmen und für diesen Tag mit meinen Gedanken nirgendwo anders sein. Ich denke, Sie verstehen das.

Nächsten Mittwoch geht es hier im EXTRO weiter mit George Bonannos Tipps, wie Sie seelische Widerstandskraft für sich entwickeln können.

Bis dann smile

 

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