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Entwicklung zwischen den Extremen – Teil 1

Weshalb „belästige“ ich Sie mit den Erkenntnissen der Entwicklungspsychologie?

Weil ich möchte, dass Sie selbst erkennen, wie sich Ihre gewachsene Persönlichkeit gebildet hat.

Ich möchte, dass Sie sich wiedererkennen und dabei verstehen, dass Ihr ICH einem fortlaufenden Prozess entspringt und keinesfalls  – auch nicht mit 50plus – so festzementiert ist, wie es sich vielleicht gerade anfühlt.

Menschlich individuelle Entwicklung wird über zwei Ansätze erklärt:

  • zum einen die Entwicklung unseres Verstandes, der reinen Intelligenz – hierfür stehen beispielsweise die grundlegenden Erkenntnisse von Jean Piaget.
  • zum anderen die Entwicklung Ihres Selbstverständnisses und des Bildes Ihrer Identität = Ihre Persönlichkeit aus Ihrer emotinalen Stabilität heraus und damit der für unsere Generation und das Anliegen dieses Blogs weitaus interessantere, weil noch immer aktuelle Part. Hierfür steht Erik H. Erikson als Vater der Idee und anerkannter Vertreter seines psychoanalytischen Erklärungsmodells in Stufen.

Stufe I und II

.. kennen Sie bereits als Ursprungsort unseres Unrechtsempfindens sowie des scheinbaren Ausweges, der LügeWenn Dir die Lüge ein „Bedürfnis“ ist..).

Da tat sich aber noch viel mehr. Als Säugling und Kleinstkind hilf- und wehrlos auf Wohlwollen & Geschick der Großen angewiesen zu sein, hieß, mit unseren Grundbedürfnissen, zwischen Nahrung, Schutz & Sauberkeit, letztlich auf Leben oder Tod ausgeliefert zu sein.

Grundbeduerfnisse
s. Beitrag: Die menschliche Natur anhand von Bedürfnissen

Wie nachvollziehbar.., dass sich damals aus dieser Ur-Situation die Fähigkeit, mit Zuversicht hoffen zu dürfen, letztlich blind vertrauen zu können, entwickelt hat. Ebenso wie aus erster Vertrautheit so etwas wie ein Zugehörigkeitsgefühl in uns wuchs, das wenig später den lebensbejahenden Grundstein für unsere Aufgeschlossenheit & Offenheit dem Leben generell gegenüber legte.

Wurden wir aber immer wieder enttäuscht, vernachlässigt oder Schlimmeres, standen wir echte Todesängste (und Schmerzen) aus, machte sich ständig Unsicherheit & Misstrauen, in Bezug zu den Großen wie gegenüber unserem kompletten Umfeld, in uns breit.

Auf diesem Hintergrund muss sich nun auch niemand mehr fragen, weshalb er heute tendenziell Optimist oder Pessimist ist. Auch dafür wurden hier erstmals die Weichen gestellt. (Das muss übrigens nicht ganz so bleiben – dazu an anderer Stelle mehr..)

Aber es ging ja weiter. Nach1,5 bis 2 Jahren begann..

Stufe II..

und hielt ca. weitere 2 Jahre an. Noch lebten wir in nahezu absoluter Fremdbestimmtheit, kannten kaum mehr als unsere Familie, eroberten dort aber langsam das Terrain und steckten dafür unsere kleine Nase wie unsere  Händchen nahezu überall rein.

child-392971_1280Diese Zeit des Begreifens (im wahrsten Sinn des Wortes) und des Erkundens war bereits die Basis für die Entwicklung unseres Strebens nach Autonomie und unseres eigenen Willens. Weiterhin aber wuchsen wir unter dem Schutz und meist der direkten Aufsicht der Eltern auf.

Aus ihren Worten, ihrem Handeln und ihren Gebärden bildeten wir so langsam eine Vorform von Gewissen, ein Gefühl für „Richtig“ und „Falsch“ in uns aus. Und je nachdem wie liebevoll, tolerant, aber auch klar & konsequent sich unsere Eltern stellten, verinnerlichten wir erste Werte und trauten uns, erste kleine Entscheidungen zu treffen. Wenn es halbwegs gut lief!

Wenn nicht, wenn wir keine Grenzen aufgezeigt und liebevoll nahegebracht bekamen, wir weiterhin nicht unterstützt, stattdessen vernachlässigt und grob gemaßregelt wurden, verstärkte sich das Gefühl von Unsicherheit. Und weil wir noch immer alles, was nicht klappen wollte, direkt auf uns selbst bezogen (=egozentrisches Weltbild), wuchsen aus Ängsten, Misstrauen & Zögerlichkeit jetzt tiefgreifende Zweifel an uns selbst neben einem diffusen Gefühl von Scham, selbst falsch und nicht genug – letztendlich nicht der Liebe wert zu sein.

Das Spiel – mit Gleichaltrigen oder allein- war damals der einzige Ort, der uns Ausgleich hätte geben können. Uns zurückziehen und wenigstens in einer Art selbstgestifteten Geborgenheit frei das Eine oder Andere üben zu können – das war oder wäre ein Stück weit Entlastung (gewesen).

Stufe III

beschreibt die letzte Phase, bevor der „Ernst des Schullebens“ uns ereilt. Läuft es gut, trauen wir uns immer mehr zu, wissen um die Rückendeckung unserer Eltern und ergreifen immer öfter die Initiative.

Passend zu unserem Expansivkurs kommen wir in Kindergarten & Vorschulgruppe, findet man uns immer häufiger auf Entdeckungstour vor der Tür und dem Spiel um die Ecke, haben wir auch unsere ersten Verabredungen mit Gleichaltrigen.

kids-783520Dabei suchen wir fleißig nach anderen Identitäten, vergleichen uns mit ihnen, imitieren die Großen und übernehmen erste Verantwortlichkeiten, um ihrer Welt näher zu kommen.

Haben wir keine eigene Räumlichkeit, suchen wir uns eine, in der unsere eigenen Regeln herrschen – ein abgegrenzter Ort, in dem wir fanatasievoll nachinszenieren, was uns gerade beschäftigt, unseren Tagträumen nachhängen oder uns z. B. verkleiden und die Rollen der Großen nachmimen.

Jetzt ist auch die Zeit, in der wir sehr genau wahrnehmen, dass es da den „kleinen Unterschied“ gibt, dessen Bedeutung uns bisher entgangen war. Neugierig beobachten wir,  was die Großen daraus so machen. Sofort verarbeiten wir die erkannte Geschlechtszugehörigkeit in unseren Rollenspielen.

Über die gewollte Auseinandersetzung mit so vielen neuen Identitäten, verlieren wir allmählich den egozentrischen Blickwinkel und himmeln unsere Eltern jetzt auch nicht mehr so an. Stattdessen zeigen wir stolz eine erste Form eigener Persönlichkeit und versuchen uns den Großen gegenüber partnerschaftlich zu geben. So kann es gehen.

Haben wir aber keine Unterstützung, keine vertrauenserweckende & anregende Vielfalt um uns, finden nicht mal eine Ecke für uns allein, werden verhätschelt oder versucht man uns mit unbegreiflich harten Strafen oder gar Schlägen zur Raison zu bringen, dann kapseln wir uns (innerlich) ab. Wir kämpfen mit schweren Schuldgefühlen, die uns auch noch weiterhin an unsere Egozentrik binden und versinken tendenziell in ängstlicher Passivität.

Ohne äußere Bestätigung können wir einfach nicht die Selbstsicherheit in uns und somit auch kein initiatives Handeln im Außen aufbauen, zweifeln stattdessen weiter an uns, bleiben zaghaft & schüchtern, fühlen uns viel zu schnell schuldig und ausgegrenzt und versäumen so Vieles, was uns zu einer kleinen absichtsvollen Person machen könnte.

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