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Sind Sie befremdet von der Welt?

So, wie sie jetzt vor Ihnen liegt? Wenn wir von jener Welt reden, die vor Ihrer Haustür beginnt, dann haben Sie, allem Anschein nach, Recht!

Ich habe gerade eine Doktorarbeit angelesen, die mein anderes diffuses Gefühl für das JETZT zu belegen scheint. Titel? „Identität und Macht“. Das kann alles & nichts sein. Was ist der konkrete Inhalt? Folgen der Individualisierung mitten in der vom Marketing propagierten Erlebnisgesellschaft auf ihrem Zenit.

„Erlebnisgesellschaft“ als Begriff

versucht jene horizontale Zergliederung der Gesellschaft in unterschiedlichste Milieus & Lebensstile zu fassen, wie sie sich erstmals seit Ende der 80er Jahre, also, in weitestem Sinne, seit unserer eigenen Jugend abzeichnet. (Genauestens analysiert Anfang der 90er Jahre von Gerhard Schulze im gleichnamigen Buch).

Merklicher Ursprung war wohl die beginnende Vielfalt an Musikstilen in den auslaufenden 70ern, die wir damals als Jugendliche (auf der Suche nach Identität) bereitwillig mit einer ebenso bunten Vielfalt an Gruppierungen  zwischen Rock, Pop, Punk, Funk & Soul bis in New Wave-Zeiten beantworteten. Historisch: ein Novum!

Was damit begann, zunächst noch „niedlich“ und laienhaft von uns selbst ausstaffiert wurde, dessen nahmen sich alsbald Werbung & Marketing auf professioneller Ebene an und „züchteten“ daraus ganze kommerzielle Stilbewegungen & profitable Markenphilosophien, denen viele folgten.

Extrem begünstigt durch die Explosion der Medienindustrie, war die Grundlage geschaffen, sogar gesellschaftskritische Ansätze des individualistischen Zeitgeistes bis in heutige Formen des Markenfetisch auf einträgliche Art & Weise „umzuleiten“, dabei fleißig Bedürfnisse zu wecken, die vorher noch niemand vermisst hatte und neue Pseudowerte nachzuschieben an Stellen, wo berechtigte Zweifel aus Nachkriegszeit & Wiederaufbau ein Vakuum hinterlassen hatten.

Über die Jahre nahm diese Entwicklung Fahrt auf..

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und mündete in ein gegenseitiges Ranking zwischen der technischen Fortentwicklung der Konsumgüterindustrie einerseits und einer bedürfnisgesteuerten Verankerung von „Must-Haves“ in unseren Köpfen andererseits. Fast perfekt gefördert und zusätzlich  angetrieben durch das heute nahezu allumfassende Instrumentarium des Marketings.

Mit der gewachsenen Bedürfnis- und Angebotspalette, wuchs die Zahl der möglichen Lebensstile weiter. Mit fortlaufender Erfahrung, noch ehe eines der neuen Verlangen ausgeschöpft sei, schon wieder zig Alternativen präsentiert zu bekommen, wuchs auch die Vorstellung, in kürzester Zeit fast alles Erdenkliche (noch) erreichen zu können.

Erlebnishunger & Fortschrittsglaube haben sogar die Wachstumskrisen der globalisierten Wirtschaft überstanden und treiben heute, da wir uns Dank der Medizin auf eine Altersgesellschaft mit uns als Hauptdarsteller zu bewegen, seit einigen Jahren mit ähnlicher Überzeugung kräftig den Jugendwahn an. Zumindest bis sie unsere Generation ein zweites Mal vollends als potenten Absatzmarkt entdecken 😉 .

Unsere Welt zerfasert, ..

während sich übermächtige Machtgebilde formen. Erst mit Abstand merken einige, was hier eigentlich für eine Maschinerie am Laufen ist. Mittendrin merken wir, wie verwoben das Gebilde um uns herum ist – nicht aber unbedingt aus menschlichen Beweggründen  – ob in Militär, Medien, Banken, Versicherungen, Politik oder in mafiösen Strukturen – um nur die gefährlichsten Potentiale zu nennen.

Unser hiesiges Leben aber findet im Überfluss statt – ob wir nun Teil haben oder nicht. All überall auf den Tannenspitzen..“   sah ich jedenfalls letztlich noch bunte LEDs blitzen. Wir sind ganz schön beschäftigt mit dem ganzen Tand, tand ist das Gebilde von Menschenhand.

„Die Geister, die ich rief, ..“

Friedenskinder, die wir sind, kosten wir als Gesellschaft aus, was da ist. Spielfilme erzählen indes seit Jahrzehnten von der beängstigenden Vision, wenn wir am Ende unserer Ausmaße, mitten in der Katastrophe angelangt sind. firefighter-502775

Fast „vorsorglich“ aber finden sich in denselben Filmen, wie naturgegeben, aber auch gleich die passenden Helden, die dieses Finale abzuwenden wissen.

Der Mensch als Meister der Natur & Hoffnungsträger – ein Heldenepos, dessen Unsterblichkeit fast schon an Naivität grenzt und, soweit ich weiß, nicht nur zufällig ein Lieblingsgenre aller Verfechter des Machbaren ist..

Speziell als Einzelwesen der Wirklichkeit, denke ich hingegen immer wieder, wie tief die Schluchten & Gräben der realen Gesellschaft geworden sind und wie mächtig und unbeirrbar im Verlauf die Gegensätze auf der anderen Seite..

Derweil sitz‘ ich hier in Berlin, wo sich vor wenigen Monaten über 25 Jahre Mauerfall gefreut wurde und in einem Land, wo man eigentlich erleben wollte, dass auch die „inneren Mauern“ fallen. In den Nachrichten aber kann man hören, wie es allerorts auf der Welt nach wie vor knallt. Aktuelle Informationen, die unsere Urväter in dieser Form nie kannten.

Ein Umgehen mit diesen Informationen..

kann man das indes aber auch nicht wirklich nennen. Wir konsumieren sie wie alles andere, haben unser eigenes „Schicksal?“, erschrecken vielleicht kurz.. Dann aber hat uns unser Leben auch schon wieder..

Die jüngeren Generationen, so scheint mir, schauen teils gar nicht mehr hin und sind stattdessen in ganz anderen „Netzen“ verfangen. Politisches Bewusstsein & politischer Wille, kommt mir vor, befindet sich immer flächendeckender „auf dem sinkenden Ast“.

Eine „alternaive Tee- und Körnertante“ meiner Generation, die das alles  v. a. gesund &  am liebsten in männerfreier Runde lediglich möglichst unbeeindruckt überstehen will, war ich selbst aber auch nie. Mir ging es halt schon immer auch um Anderes. Und so schaue ich in besagte Doktorarbeit der Philosophie aus dem ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends und es ist interessant, was die soziologische Sicht für die Psyche des Einzelnen offenlegt.

Identität in diesen Spannungsfeldern auszubilden,..

ist eine ungleich schwierigere Aufgabe als noch vor 60 Jahren, steht dort geschrieben. Und das, obwohl  Identitätsbildung sowieso schon, um ihres Prinzips Willen, eine lebenslange Aufgabe ist (!),  wie die Entwicklungspsychologie seit Erikson in Teilen belegt.

Auf dem Weg in eine Gesellschaft mit alleinigem Blick auf ihre Individuen & deren Individualitäten, scheinen wir gegenwärtig zu sein – ein Widerspruch in sich (!), eigentlich.

social-network-489536Ob das die neuen sozialen Netze, derer wir uns im JETZT behelfen, jemals auffangen werden??

Und das während daneben andere, einst lebensbestimmende Institutionen wie Seifenblasen an der neuen Realität zerplatzen – in unserer näheren Umwelt, wohlgemerkt.

Das genau leitet die Doktorarbeit her: Der Verfall einzelner Institutionen & Leitstrukturen und damit der Wegfall wichtigster Funktionen & sozialen Inhalte der Gesellschaft als ursprünglich über Jahrhunderte hinweg einendes Regulat. Diese Gesellschaft verliert an Kontur als Ganzes, die neuzeitliche Dynamik zerrt an ihren Grundfesten und jeder Einzelne kann sich nur noch schlecht an ihr festhalten.

Es ist also kein bloßes Bauchgefühl und nicht weniger diffus als unsere aktuelle Gesellschaft selbst.

Weshalb genau, mit welchem Preis wir „unser Erlebnis“ schon länger bezahlen, lesen sie im Folgebeitrag nächste Woche.

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