Stille Wasser

– lebendige Ruhe, beständig  und wunderbar tief, sind eine späte Entdeckung in meinem Leben..

Während ich den Alltag meiner Kinder- und Jugendzeit daheim hauptsächlich wie ein Schauspiel zwischen mir und meinem Vater in Erinnerung habe (nachzulesen in Die Vatertochter), vermisst mancher vielleicht die Frau, die Mutter in diesem „Bühnenstück“.

Mir ging es nicht viel anders, auch mir hat sie oftmals gefehlt, doch ich sage das heute ohne jeglichen Vorwurf.

Meine Mutter war so eine Stille, sogen. Introvertierte, in ihrem Wesen nach innen gekehrte,  von gleichbleibender Beständigkeit. Mit ihrem 100%igen Arbeitseinsatz an nahezu jedem Tag ihres Lebens – teils mehrfach über 12 Stunden außer Haus, teils daheim nahtlos in den klassischen Hausarbeiten eingebunden – hielt sie unsere kleine Familie auf einer verlässlich soliden Grundlage und schonte sich nie.

Wenn ich zurückdenke, ..

höre ich sie nicht murren, nicht schimpfen, keine langen Reden halten und schon gar nicht schreien oder dergleichen. Nicht dass sie nicht redete, aber wohl dosiert, stets auf respektvoller Ebene, mit viel Verständnis in Augen & Worten und niemals den „angemessenen Rahmen“ überschreitend.

Ein großer Teil ihrer Haltung mag dem Selbstbild der damaligen Frauengeneration wie der Erwartung anderer entsprochen haben, aber es schien ihr auch nicht zu widerstreben – kaum – wie es aussah. Und weil sie so widerspruchslos alles geduldig vorantrieb, fiel es mir als Kind auch nicht auf – fiel sie selbst mir kaum auf.

Erst später, mit Beginn meiner Pubertät, als sich das Verhältnis zu meinem Vater, dem alten Dragoner, langsam aber sicher in eine Art Schlagabtausch zwischen ihm und mir wandelte, vermisste ich ihre Position, ihre Stellungnahme.

Letztlich habe ich sie fast ausnahmslos nur vermittelnd, voller Einfühlungsvermögen in Erinnerung, Verständnis & Respekt fördernd und erwirkend – bei dem einen für den jeweils anderen – niemals aber fordernd, stets ohne jede Angriffshaltung und weitab jeglicher Wut oder Maßlosigkeit.

Sanft war sie, voller Vertrauen & Großmut und für sich selbst so bescheiden, dass man es stellenweise selbstlos nennen konnte. Ihr einziges Ziel schien zu sein, dass es uns gut gehen und Frieden zwischen uns herrschen solle.

Zusammen lebte sie aber mit dem krassen Gegenstück ihres Naturells,..

gegen dessen Familiendiktat es sich hier & da aber doch durchzusetzen galt, wie ich fand, und der teilweise nicht mal bemerkte, wie er mancherorts über ihre Gefühle hinwegdonnerte.

Und auch ich entwickelte mich langsam zu einer durchsetzungsstärkeren Person an seiner Seite, begriff aber jahrelang nicht wirklich, warum nicht auch sie sich beizeiten wehrte, gegen andere Ansichten oder spätestens dann, wenn etwas dermaßen schief lief, dass es ihr wehtun musste.

Stattdessen verschwand sie in solchen Momenten im anderen Zimmer, zog sich zurück, war sichtlich traurig, brachte aber auch dann kaum ein Wort, keinen Grund und keinerlei Vorwurf hervor und es konnte sein, dass sie auch am nächsten Tage noch schweigend bedrückt ihrer Arbeit nachging, während wir nicht selten rätselten, was sie so verletzt haben könnte.

In unseren Sommerurlauben ab Mitte der 70er dann, zu denen mein Vater uns nie begleitete, stattdessen regelmäßig daheim unserer Wohnung alljährlich begeistert ein neues „Gesicht“ verlieh, waren sie und ich allein miteinander und ich genoss es.

Endlich hatte ich sie mal für mich allein und so holte ich nach zu hinterfragen, was aus Tochterperspektive mir bei ihr an weiblichem Selbstbewusstsein & Durchsetzungsvermögen doch deutlich fehlte.

Andererseits registrierte ich aber auch recht schnell für mich, dass das Regiment meines Vaters in diesen Wochen weit weg war, ich und meine Freiheiten ihr gegenüber nun leichtes Spiel hatten. Natürlich übertrieb ich in Taten & Worten, ohne wirklich sie zu meinen, und doch traf nun ich sie mit meiner fordenden Unausgegorenheit oder auch nur mit meinem jugendlichen Temperament. Wenn auch nicht in voller Absicht, aber doch verletzte ich sie einige Male fast ebenso wie mein Vater daheim.

Warum erzähle ich so etwas Persönliches?

Weil es Jahre gedauert hat, bis ich langsam begriff, dass es eine andere Art von Menschen gibt als solch ein „Kaliber“ wie mein Vater, die sich weder in die erste Reihe drängen noch Gehör verschaffen wollen, die sich nicht abgrenzen noch verteidigen.

Diese Menschen leben mit der Hoffnung, auch ohne große Worte verstanden zu werden, wollen lieber an ihren Taten, Blicken & Gesten erkannt werden. Viel mehr brauchen sie nicht für sich. Zufriedene Gesichter um sie herum reichen ihnen oftmals für ihr Glück und in den vielen restlichen Stunden finden sie Ruhe und neue Kraft für ihr Tun in sich selbst.

Sie zu verstehen, ohne warnende Worte sie zu respektieren, nicht versehentlich zu verletzen, stattdessen ein Gespür dafür zu entwickeln, was (gerade) in Ihnen sein mag und darauf Rücksicht zu nehmen, war unheimlich schwer für mich und ist mir noch heute eine der wichtigsten Aufgaben.

Warum?

Weil in diesen scheinbar so stillen, doch eigentlich „nur“ nach innen gekehrten Menschen so viel Wärme und verständige Weisheit stecken kann, dass sie mir vorkommen, wie ein über Jahre gehüteter Schatz, der behutsam geborgen sein will und für dessen klare, unverschränkte Werte es sich manches Mal  mehr als einzusetzen lohnt.

Weil man ihr Vertrauen nicht gewinnen kann, ohne RESPEKT in seiner ganzen Bedeutung verstehen & leben zu lernen und weil man von ihnen mit der Preisgabe verborgener Sichtweisen & Perspektiven belohnt wird, die man ohne sie vielleicht nie gedacht hätte, von denen einen einige aber ungemein bereichern & weiten – im eigenen Blick.

Und weil man, als doch etwas temperamentsgetriebenerer Mensch, allein über die Zeit hinweg Verletzlichkeit in einem neuen Licht sieht, dagegen die Fähigkeit wertzuschätzen lernt, sich hier & da zurückzunehmen, geduldig zuhören zu können und dabei abzuwägen, was wirklich wichtig sein mag, und was letztlich nur unnötiger Rechthaberei gleichkäme.

Weil man durch eine Verbindung zu vielen von ihnen ein Gefühl von gegenseitiger Ergänzung bishin zu einer besonderen Art von Teamgeist & Ganzheit wahrhaft erleben kann, deren Lebendigkeit im Innen & Außen mir nur durch die Ungleicheit der Charaktere in dieser Form erklärlich scheint.

Und weil eine Freundschaft mit ihnen wie ein Fels in der Brandung sein kann, ihre Ruhe & Klarheit in Teilen überzugehen scheint und so zu jenem Ort werden kann, an dem man sich wieder erden und sich der falschen Oberflächlichkeiten mit Leichtigkeit entledigen kann.

Das ist, was mir die Stillen Wasser, von denen ich noch einige kennen gelernt und ins Herz geschlossen habe, geben können. Und das ist viel von dem, was ich in einer extrovertierten Welt vergebens suche.

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