Abschied

Trauer, Schmerz & Erinnerung

Es wäre mir so unbeschreiblich viel lieber, ich wäre davon jetzt nicht selbst betroffen, könnte den alten Haudegen einfach anrufen und bis in den Morgen quatschen mit ihm. Das haben wir oft getan..

Vorbei ist die Zeit, die uns zu Freunden machte. Vorbei sind all die Möglichkeiten, die sich damit bei uns beiden verbanden. Fort ist er – einfach gegangen.

Selbst, wenn man es geahnt hat, wenn einige der letzten Gespräche in seinen Gedanken diese Ahnung mitschwingen ließen – es reißt Dich aus Allem raus, wenn die Gewissheit Dich erreicht. Und es reißt Dich immer wieder nieder, wenn Du realisierst, dass es kein Zurück mehr gibt – nie wieder!

Einige kennen die sogen. 4 Trauerphasen.

Viele meinen, intensive „Trauerarbeit“ leisten zu müssen. Aber was sich im stillen Kämmerlein bei jedem Einzelnen, der einen Menschen verloren hat, tat & tut, ist nicht in einheitlichen Phasen zu fassen und hat auch wenig mit „Arbeit“ zu tun, wie es noch Sigmund Freud einst sah.

Hier in der Stadt zumindest, keinem streng gläubigen Kreis angehörig, trauert jeder auf seine Weise. Niemand muss hier mehr ein ganzes Jahr schwarz gekleidet gehen. Selbst auf Beerdigungen ist mittlerweile kein vorgegebener Kleidungszwang mehr vorgeschrieben und immer mehr Zeremonien des Abschieds sollen sich heute eher im Geiste des Verstorbenen gestalten als den Traditionen zu folgen.

Ich finde das nur angemessen. Was soll sich der Einzelne – gerade in dieser Situation – zwanghaft in irgendwelche Normen pressen, weil „man das so macht“? Kaum eine Zeit ist so eigen, wie gerade die des Abschiednehmens auf ewig.

Sicher gab & gibt es Ähnlichkeiten, kann mancher, der einen ihm wirklich nahen Menschen verloren hat, nachfühlen, wie es mir jetzt geht. Und sicher bewegen sich viele Erfahrungen im Rahmen besagter 4 Phasen – entweder jener, wie sie die bekannte Jungianerin & Psychologin Verena Kast 1982 beschrieben hat, oder so wie es der kritisch pragmatische Theologe Yorick Spiegel wahrscheinlich immer wieder beobachtete und bereits 1972 niederschrieb.

Phase 1.. Immer beginnt es mit dem Schock,

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der den Angehörigen, den Nahestehenden von einer Sekunde zur anderen aus der Realität reißt. Selbst wenn ein längeres Leiden den Moment des Todes anzukündigen scheint, der Tod womöglich Erlösung bedeutet, selbst dann endet das Begreifliche in einem einzigen Augenblick.

Aber schon im Übergang zur nächsten Phase scheiden sich „die Geister“. Einige können nicht begreifen, ohne den Verstorbenen noch ein letztes Mal zu sehen. Andere scheuen instinktiv den Anblick, befürchten die Bilder nie wieder vergessen zu können, wollen das Liebste lieber so in Erinnerung behalten, wie es zu Lebzeiten war.

Verena Kast spricht hiernach von Phase 2,

von intensiv aufbrechenden Emotionen, zwischen Wut & Sehnsucht, Erleichterung & Schmerz, Angst & Einsamkeit – womöglich „in den Klauen“ schwerster Schuldgefühle.

Der einfühlsam, praxisnahe Theologe Spiegel hingegen spricht von der kontrollierten Phase 2, ausgefüllt von den eigenen wie den hilfreichen Aktionen Anderer, die mit  Beerdigung & Auflösung aller irdischen Verpflichtungen des Verstorbenen zusammenhängen.

cemetery-499775Spiegel hat eher den Eindruck, dass die Notwendigkeiten dieser Tage dem Trauernden kaum Raum für seine Gefühle lassen, stattdessen Distanz zwischen ihn und das eigentliche Geschehen schieben und so dafür sorgen, dass diese Zeit eher wie ein fremder Film aus Sicht des Hinterlassenen abläuft und ihn damit eine bezugslose, zusätzliche Leere empfinden lässt.

 

Erst nach der Beerdigung, so glaubt Spiegel für Phase 3 der Regression, schlagen die Gefühle in ihrer kompletten Bandbreite wieder zurück, verfallen viele angesichts der einkehrenden Ruhe im Außen in Verzweiflung im Innen, sind wie gelähmt, „hängen zwischen den Welten“, können nicht schlafen, nicht essen und fühlen sich möglicherweise doppelt alleingelassen – sowohl vom Verstorbenen als auch von all jenen, die eben noch besorgt geholfen haben und sich nun wieder zurückziehen.

Verena Kast sieht in Phase 3 dagegen ein Suchen, Finden und ein Loslassen, darüber ein allmähliches Realisieren, dass der Tote nun nicht mehr zur wahrnehmbaren Wirklichkeit gehört sowie ein sich stilles Aussöhnen – sowohl mit dem Toten als auch mit dem Verlust an sich.

Phase 4 ist für beide der Abschluss,

die Akzeptanz bzw. die Adaption der veränderten Realität.

Der Theologe Spiegel sieht es mit einigen Rückschlägen in vorherige Phasen verbunden (teils im Sinne von „zwei Schritte vor, einer zurück..“).

south-2244Die Psychologin Kast  spricht von der aufkommenden Perspektive, die neue Realität auch langsam als Chance für weitere Veränderungen zu sehen. Beide reden von einer neuen Zuversicht, mit der die letzte Phase abschließt, sowie von der wachsenden Fähigkeit, wieder neue Beziehungen eingehen zu können.

Die neuere Forschung sieht das differenzierter.

Grundsätzlich basieren beide ältere Modelle lediglich auf anekdotischen Fallstudien & Beobachtungen. Das Modell von Verena Kast entspricht ursprünglich sogar beobachteten Phasen aus der Sterbegleitung im Jahr 1969 – übertragen aus den letzten Schilderungen der Sterbenden direkt auf Trauernde. Ich persönlich kann diese Herleitung nicht ganz so nachvollziehen.

Problematisch dabei auch.. die Erwartungshaltungen, die sowohl Trauernde als auch das jeweilige Umfeld aus solchen populären Modellen – nach dem alten Schema, „wie das laufen muss!..“,  – ableiten. Wenn’s dann anders oder nicht sichtbar so verläuft, die Erwartungen also nicht erfüllt werden, sind wir gerade in so einer Ausnahmesituation viel zu schnell mit Schuldzuweisungen bei der Hand oder auch einfach „nur“ mit der Unterstellung, derjenige würde ja gar nicht wirklich trauern.

Empirisch belegbar ist hingegen KEINER dieser einheitlich linear beschriebenen Prozesse.

Mehrheitlich trauert jeder individuell!

soul-623424Offensichtlich prägt die Individualisierung der Gesellschaft und der Rückzug vieler Normen auch diesen ganz persönlich intimen Bereich.

„Die starren alten Trauervorstellungen waren sowieso nicht schön“, denk‘ ich, „aber es wird besser(!) – in diesem Fall“. Lange kann’s nicht mehr dauern, dass auch in deutschen Landen endlich auch alternative Bestattungsmethoden „durchgeboxt“ werden. Unterm Strich, bezahlen würde der Staat womöglich sogar weniger.

Das ist jetzt aber absolut nicht die Schiene, der ich heute folgen will. Stecke leider mittendrin, das reicht.

Dem Tod gegenüber sind wir das Leben.

Wenn wir das nicht nur „automatisch“ sind, einfach nur so.. (Sie wissen schon..), sondern leben wollen (!), irgendwie, irgendwann, mit Allem auf irgend eine Art & Weise klarkommen wollen, dann ist auch der Punkt gefragt, wo es wieder nach oben, wo es weiter geht.

Ganz sachlich betrachtet (das fällt mir im Moment schwer), stürzt der Tod die Lebenden in eine Krise. Für den Kopf geht es, auch mir jetzt, v. a. ums Annehmen, dass jemand gegangen ist und Akzeptieren, was alles mit ihm in der Endgültigkeit verschwindet.

Ohnmächtig zuschauen, heißt zuzuschauen ohne Macht.

Das registriert der Kopf, der etwas loslassen muss, worauf er keinerlei Einfluss hatte – im Allgemeinen, denke ich. Was uns, was mich hingegen niederreißt oder jetzt mehr „dünnhäutig“ sein lässt, das sind die Emotionen, von denen ich mich nicht trennen will.

Das Trauertal überwinden..

„am anderen Ende“ der Trauer wieder Zuversicht & neue Sicherheit

feet-425041in sich finden, ist gleichbedeutend mit dem flexiblen Rückgriff auf die eigene Widerstandskraft = also eine weitere Frage von Resilienz, wie ich sie letztlich im INTRO umrissen hatte, und speziell hier besonders wichtig:

Verbunden mit dem Recht, das „Wie“ für sich zu bestimmen.

 

Das soll für heute reichen. Morgen geht’s im INTRO ohnehin weiter.

Sie können ja eben dort unter Resilienz in den Artikel nochmal reinschauen. (Fürs INTRO einloggen(?), wenn Sie mögen, können Sie sich hier!)

Nächste Woche bemühe ich mich, noch einen zweiten klärenden Part zu Trauer, Trennung und Abschiednehmen anzufügen.

Gute Nacht smile

zum Beitragsbild

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