Kein Verlass auf Nix !?

Das scheint das Resümée für das JETZT, nach meinem Querflug durch gesellschaftliche Aspekte, zu sein. Aber warum ist das heute so?

Ausgehend von den beiden Hauptquellen unserer Identität, den zwei tragenden Säulen für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit, zwischen individuellen Ressourcen und der sozialen, also gesellschaftlichen Einbettung des Einzelnen –  soll dieser Beitrag,

mit Rückgriff auf den vorherigen Artikel:glass-271151

 

„Sind Sie befremdet von der Welt?“,

helfen zu durchschauen, weshalb eigentlich viele unserer Generation 50+ sich in ihrer aktuellen Umwelt so wenig zuhause, teils alleingelassen, teils ständig überfordert, stellenweise bis durchweg verunsichert – fast schon von der Gesellschaft betrogen fühlen.

Gesellschaft,

.. haben Sie & ich gelernt, basiert im Ursprung auf der Übereinkunft, gemeinsam besser vorwärts zu kommen –  speziell seit sich die Arbeitsteilung als beste Möglichkeit erwiesen hat, den Bedürfnissen einer stetig wachsenden Bevölkerung produktiv zu begegnen.

Nicht zuletzt, weil Arbeitsteilung & Spezialisierung auch ein direktes Angewiesen-Sein auf den Anderen bedeuten, brauchte & braucht es Regeln & Verbindlichkeiten für ein immer dichter werdendes, einträchtiges Miteinander – Regeln, die möglichst allen eingängig sind, also von der ganzen Gemeinschaft getragen werden. Hieraus entwickelten sich konkrete Gesetzgebungen aber auch allseits als sinnvoll erachtete Werte & Wertehierarchien zum zeitlosen Gut, zur verlässlichen Dauerleistung der Gesellschaft.

Aus der Einsicht, dem allgemeinen Konsens heraus, an diesen, Frieden & Produktivität erhaltenden Wert- & Bedeutungsgebilden festhalten zu wollen, entstanden Traditionen & Arbeitsroutinen. Mit ihnen verlagerte sich die Vermittlung der Inhalte auf übergreifende Institutionen, die den langfristigen Bestand  von Wertigkeit & Verhaltensweisen sicherten.

Wie ein prägender Filter, den nun jeder zu durchlaufen hatte, sorgten Institutionen seither für eine strukturgebende & verlässliche Orientierung als  allen verbindliche soziale Basis – so z. B. die Schulen, die Kirche, das Militär, aber auch die Familie oder Heime als  Individuen prägende Instanz.

Mit fortschreitender Individualisierung,

.. dem damit verbundenen Glauben an die mündige Autonomie des Einzelnen innerhalb unserer aktuellen, postmodernen Gesellschaft aber, wurde eine Wertevielfalt, der sogen. Wertepluralismus entfacht, der es den Institutionen nun schwer macht – sowohl ihre Konzepte zu wahren bzw. zeitgemäß immer wieder anzupassen als sich in dieser bewegten Konstellation überhaupt noch formal zu halten.

Der Kritik der 68er-Nachkriegsgeneration folgend und angekommen im Informations- & Konsumzeitalter in westlich orientierten Welten, sind wir in einem Zeitgeist „gelandet“, in dem letztlich alles angezweifelt, umgestürzt und in anderen Kontext gesetzt werden kann.. und das (rein theoretisch) von jedem Einzelnen & nahezu weltweit.

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Die Freiheit, alles anders angehen, neu be- oder entwerten zu können, hat aber auch den „kleinen“ Nebeneffekt, dass der Fundus allgemeingültiger & verlässlicher Werte sich zusehends auf ein Minimum reduziert. Soziologen und neuzeitliche Philosophen sprechen von der Dekonstruktion von Gültigkeit“ mit noch weiteren  😉 kleinen  😉 Nebeneffekten.

So leitet sich z.B. aus den stetig wachsenden Möglichkeiten..

nicht nur die Freiheit der Wahl..

sondern auch die steigende Notwendigkeit ab, sich neu zu orientieren, wählen zu müssen und dabei, auch langfristig wirksam, die richtige Entscheidung zu treffen. Das bedeutet gleichsam, sich stets weiter informieren zu müssen, möglichst nichts außer Acht zu lassen und wieder & wieder zu überprüfen, da sich die äußeren Faktoren schließlich ständig weiter verändern (können).

Was heute für den Einzelnen noch gut & richtig sein mag, kann also morgen schon wieder nicht nur veraltet – nein, auch schlichtweg falsch & blockierend für seine nächsten Schritte sein.

file3111252718915Ebenso wie sich heute für eine zunächst naheliegende Gruppierung oder Karriere zu entscheiden, um morgen dann festzustellen, dass die Errungenschaften in den einen Kreisen, für die Notwendigkeit oder auch die freie Entscheidung für eine völlig andere Konstellation, plötzlich dort überhaupt nichts mehr zählen, vielleicht sogar „Klotz am Bein“ oder Stigmatisierung bedeuten.

Die neue Entscheidungsfreiheit..

hat uns, so ganz nebenbei, immer kleiner werdende Kernfamilien, ein gestiegenes Trennungsrisiko, jede Menge Singlehaushalte  infolge & Patchwork-Familien beschert. Die Neudefinition der Geschlechter hat, neben neuen Möglichkeiten, auch neue, noch unumrissene Verantwortlichkeiten „mit in den Korb gepackt“.

Der Sinn der Wehrpflicht, zumal ausschließlich für junge Männer, ist in Deutschland selbst in konservativen Augen geschwunden. Schulen stehen konzeptionell im internationalen Vergleich und generell auch über ihre Inhalte auf dem Prüfstand und sogar die katholische Kirche nimmt ebenfalls, wenn auch sehr behäbig, Abstand von einigen, Jahrtausende alten Grundfesten.

Welche Werte da morgen in welchen Teilwelten für welche Frist noch Gültigkeit haben, kann niemand mehr mit 100%iger Sicherheit beantworten. Ob man selbst morgen noch „dazu gehört“ oder plötzlich zum Außenseiter degradiert, welche Form von Kapital langfristig Sicherheit gewährt oder verpufft, wie Aktien an der Börse – wer weiß das schon.

Die beruhigende, weil verlässlich für jedermann auf Lebenszeit berechenbare Stabilitätskomponente unserer Gesellschaft haben wir für unsere Selbstbestimmtheit & Freizügigkeit selbst ausgehebelt. Eine einheitliche Moral bricht vor unser aller Augen gerade zusammen – ist schon fast zum Unwort, zum Tabu mutiert. Der sozial verbindliche Charakter der uns umgebenden Gemeinschaft steht staatlicherseits finanziell schon lange in Frage, wird z. T. weiter abgebaut und das „zwischenmenschliche Gesicht sozialer Verbundenheit“ ist gleichfalls erblasst.

Schichten & Klassen wollten wir nicht mehr, haben wir damit auch als Orientierungsaspekt verloren. Berufsbilder, die wir auf Lebensfrist ansteuern konnten, sind zu kurzlebigen, zusammengewürfelten Jobwelten verkommen, in denen wir uns auch nur halten können, wenn wir uns auch dort ständig up to date & flexibel für jede Anforderung bereit halten. Aus einst gewollter Informationsflut ist eine Form von „Informationswut“ geworden, die per ausgehöhltem Datenschutz und per Mobilität der Geräte uns auch noch das letzte bisschen Privatsphäre, unsere Sicherheit & jede Rückzugsmöglichkeit raubt.

Die schöne, neue Welt

mannequins-344676.. hat sich klammheimlich in eine neidvolle Ranking-Landschaft von vogelfreien, aber einsamen  „Pardiesvögeln“ gewandelt – ist ganz & gar nicht das, was den 68ern und uns damals so vorschwebte.

Nicht nur die Werte sind beliebig geworden, auch wir selbst können uns der eigenen sozialen Wertigkeit nicht mehr sicher sein – weder beruflich noch privat und beileibe nicht erst ab 50+.

Wenn also Identität sich zu einem wesentlichen Teil auch aus unserer sozial verlässlichen Verankerung nährt, wir uns auch als Erwachsene zu keinem geringen Teil und zu Recht über unsere gesellschaftliche Anerkennung & Verpflechtung definieren, wir uns ebenso an verbindlichen Werten orientieren wollen,  aber keine derart mehr finden, ist es also absolut kein Wunder, wenn unsere Magengegend im Prinzip überhaupt keine Ruhe mehr geben mag.  🙁

Die Gesellschaft gibt es nicht mehr

– nicht  in der uns noch bekannten, einheitlich umschließenden Form.  Sogen. soziales Kapital & Solidarität sitzen gleich neben dem politischen Bewusstsein auf besagtem zarten  Ast und drohen beim nächsten „Windstoß der Veränderung“ mit abzubrechen.

Was wir dem entgegensetzen können, ist allein  die Macht unserer geduldigen Entschlossenheit, ist Klarheit in Bezug auf unsere eigene Struktur, ist der unbeirrbare & ehrliche Blick auf unsere echten Bedürfnisse und ist ein Leben nach bewusst & selbst gewählten Werten, die unserem echten & sozialen Wesen eine bessere Chance geben.

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