Entwicklung zwischen den Extremen – Teil 3

Erikson sieht die Suche nach der erwachsenen Identität in sieben Dimensionen und rät zu einem Moratorium ! (?)

Die Bedeutung des Wortes „Moratorium“ kennen Sie vielleicht aktuell aus den Medien.. in Bezug auf Europa und den gegenwärtigen Zustand des Staatshaushaltes der Griechen. Hier bedeutet Moratorium einen Zahlungsaufschub bzw. ein Stillhalteabkommen zwischen Europa und Griechenland.

Im Psychosozialen Bereich ist das Moratorium etwas ganz ähnliches. Zeitlich ganz klar am Ende der Jugendzeit und am Anfang des Erwachsenenalters angesiedelt, beschreibt „Moratorium“ die Phase der Adoleszenz, in der Jugendliche, finanziell & sozial noch unterstützt (von ihren Eltern), die unterschiedlichen Pläne, die sie nach der Schule für ihr Berufsleben haben, ohne größeren Druck oder Zwang austesten und sich dabei über sich selbst klar werden können.

Insoweit ist Moratorium ganz allgemein eine Zeit des Aufschubs und hier, mit „Rückendeckung der bereits Im-Sattel-Sitzenden“, ein bisschen ein Aussetzen der direkten Verantwortlichkeit speziell für den jungen Menschen, das seinen Bedürfnissen wie seinen Unsicherheiten Rechnung tragen sowie seine Entschlusskraft für sein eigenes Leben nachhaltig stärken soll.

Schön gedacht, aber..

Für viele Familien aber war und ist so etwas konkret kaum möglich. Den Eltern fehlt schlichtweg das Geld, um ihre „lieben Kleinen-Großen“ noch weiter durchzufüttern und keiner sagt ihnen auch, wie lang‘ diese Art Karenz- oder gar komplette Auszeit bei ihrem Sprößling dauern kann.

Zudem gab und gibt es genügend Jugendliche, die bereits mit 15 oder 16 Jahren ganz geradlinig in einen Ausbildungsberuf oder direkt in die Arbeitswelt streben und nicht erst mit Volljährigkeit ins Grübeln kommen, ob’s eine Ausbildung sein soll oder ein Studium und wenn, welches, verbunden mit ganz bestimmten Voraussetzungen, womöglich inklusive Ortsveränderung usw.

person-723557Dennoch, wenn irgendwie machbar (dafür gibt es schließlich seit 1971 glücklicherweise so etwas wie BAföG und seit 1975 Kindergeld ab dem ersten Spross), sollte ein junger Mensch diesen einen gewissen Freiraum für sich in Anspruch nehmen (dürfen) – und zwar dann, wann er ihn braucht.

Denn es stehen einfach so viele, teils völlig neue Dinge am Anfang des selbstverantwortlichen Lebens eines Erwachsenen zur Entscheidung & Durchsetzung an, die wahrhaft die Weichen stellen, für viele Jahre und ihren massiven Einfluss auf das ganze Leben sowie ihre Rückwirkung auf das haben, was wir Identität, Persönlichkeit, teils auch Charakter nennen.

Welche7 Dimensionen sind das nun, die wir jungen Menschen damals für uns zu klären hatten?

Erikson sieht Stufe V, die in jenes Moratorium münden sollte, als entscheidend für unsere Position zwischen Identitätsfindung oder, im unglücklichen Fall, Identitätsdiffusion, was soviel bedeutet wie die Unfähigkeit, eine in sich stimmige, geschlossene Identität aufzubauen.

Wer, nach Eriksons Ansicht, an dieser Stelle in eine echte Krise mit schier unlösbar erscheinenden Problemen rutscht, für den wird es jetzt offensichtlich: Er hat schon länger ein Problem, es aber bis dato nicht wirklich angepackt bzw. als Kind und/oder Heranwachsender allein auch nicht anpacken können.

Spätestens jetzt also „trennt sich die Spreu vom Weizen“, etwas hart gesagt, aber gerade deshalb sollte jetzt auch die Zeit sein, das endlich selbst korrigieren zu können.

Aber wer hatte diese Zeit von uns – damals?

Fast erinnert es mich ein bisschen an unsere jetztige Phase. Heute noch mit beiden Beinen im Leben und morgen??? Und wieder die Frage: Wer bin ich ? Wie geht das jetzt weiter? Was passt zu mir? Was ist überhaupt möglich für mich und kann ich darin glücklich, zumindest damit zufrieden sein? Oder gar: Was kann ich möglich machen für mich? Was muss drin sein, dass sich ein Sinn, MEIN SINN, rückblickend und künftig daraus ergibt und ein erstes Gefühl  von Angekommen zu sein?

Damals waren es 7 Konfliktpaare, die der Einzelne für sich zu klären hatte:

Der Umgang mit Zeit & Hoffnung,

butterfly-744115_1280wie sinnvoll und voller Erwartung, mit Plänen im Kopf wir sie nutzen oder eben gelangweilt und sinnlos verstreichen lassen, ist ein Indiz, in wieweit wir wirklich dort angekommen sind, wo wir aktuell stehen und es begrüßen, akzeptieren, schlicht als nächsten Schritt in unserem Leben angehen und dabei der Zukunft in ihrer Tragfähigkeit für uns vertrauen.

Deckungsgleichheit von Selbst- und Fremdbild

In wieweit im Außen ankommt, wie wir uns selbst sehen und empfinden, ist ein weiteres Indiz für überwundene Konflikte oder eben doch für ein schon länger schwelendes Problem. Denkt man mal etwas mehr drüber nach, offenbart, zumindest uns selbst, die Deckungsgleichheit der beiden Vorstellungen Vieles aus unserem Inneren.

Gelungene Identität in diesem Bereich wäre Authentizität voller Selbstsicherheit – misslungen wäre schmerzlich empfundene, weil desillusionierte Teilnahmslosigkeit bzw. Apathie.

Rollenbilder

So auch das gewählte Rollenbild, die Experimentierfreude an unterschiedlichen, teils extremen Rollenbildern – auch das gibt stichhaltigen Aufschluss darüber, wie sicher wir uns „im Sattel“ fühlen und sehen – was wir uns zutrauen.

Kompetenz & Einschätzung von Machbarkeit

Das Für-Möglich-Halten, der Glaube an den eigenen Erfolg bzw. an eine machbare Weiterentwicklung, durchaus auch auf ganz neuer Ebene, ist ein weiterer Spiegel davon, wie sehr wir unserer Substanz, vor allem unserer bereits bestehenden Kompetenz sowie ihrer Ausbaufähigkeit grundsätzlich jederzeit vertrauen.

sexuelle Entschiedenheit,

auch die sexuelle Rolle zu wählen und in ihren Spitzen schamfrei auszutesten, ist ein weiteres Indiz, in wieweit wir zu uns selbst gefunden haben, finden wollen oder das eben weniger können.

Sind wir dazu nicht bereit, bleibt lt. Erikson, immer ein zwiespältiges, ungutes Gefühl bei jedem weiteren Kontakt mit Geschlechtlichkeit zurück und, wie ich finde, einer der schönsten Bereiche mit seiner ganzen Kraft verschlossen.

(Führungs-)Verantwortung übernehmen..

zu können, zu wollen, ist, lt. Erikson, auch nur möglich, wenn man die Stufen der Entwicklung bis hierher positiv bewältigt hat. Denn nur so gelangt man zu einer realistischen & angstfreien Einschätzung anderer Autoritäten und nur so, kann man irgendwann einmal selbst eine gesunde Form von Autorität vermitteln.

den eigenen Standpunkt beziehen

Die eigene Position in der Gesellschaft finden und beziehen, sich ideologisch selbst zu verorten, aktiv die eigene Meinung zu vertreten und auch bei „Gegenwind“ dafür einzustehen, eventuell für die „gute Sache“ zu kämpfen, ist der letzte Beweis, in sich und in der eigenen Mündigkeit angekommen zu sein.

Letztlich sind alle 7 Dimensionen nichts anderes als „die 7 Gesichter“ ein und desselben Ganzen, zeugen von vorhandenem Selbstvertrauen, einem Bejahen von dem, wie man nunmal ist (=Selbstwert- & Selbstmitgefühl), einer ausgebildeten Persönlichkeit rund um eine stimmige Identität, die optimistisch bis realistisch die Zukunft sieht und sich ihr flexibel stellt, ohne sich zu verleugnen oder dafür zu verbiegen.

Zeit sich nehmen, sollte aber nicht nur jungen Menschen wichtig sein..

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